»Anonymous« kündigt weitere Veröffentlichungen an: »Es wird mehr folgen, auch aus dem internationalen Bereich.«
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Hacker der Gruppe »Anonymous« haben im Zuge  ihrer »Operation Blitzkrieg« Namen, Adressen und teilweise die  Telefonnummern mutmaßlicher NPD-Spender, aber auch von Kunden  einschlägiger Shops der rechten Szene veröffentlicht. 
Bekannt  gemacht wurden unter anderem auch Daten von Mitgliedern des  internationalen Neonazi-Netzwerks »Blood and Honour« sowie Informationen  über Mitglieder des »Aryansbook«, einem an Facebook angelehnten  Netzwerk der rechtsextremen Szene.
Daraus erwuchs bald eine  Debatte, wie frei das Internet sein darf, wie viel Transparenz gesund  ist. Darf man private Daten von Menschen aufgrund ihrer mutmaßlichen  Gesinnung veröffentlichen? Sind diese Hacker edle Ritter, die gegen  Rechts kämpfen, oder sind es Verbrecher, die Bürgerrechte verletzen?
DAten  Weil es hier um Rechtsextremisten geht, ist es schwer, aber daher um so  wichtiger, die Debatte nüchtern zu führen. Zwar hat sich wohl auch so  mancher Datenschützer in den vergangenen Tagen ein schadenfrohes Grinsen  nicht verkneifen können. Aber dennoch sollten wir feststellen, worum es  im Kern geht – nämlich um die widerrechtliche Veröffentlichung  personenbezogener Daten. Und die sind zu schützen. Aus gutem Grund.
Viele  deutsche Juden halten zum Beispiel ihren Glauben privat, um Angriffen  oder Anfeindungen zu entgehen. Sie verlassen sich darauf, dass ihre  Namen und Adressen nicht an unbefugte Dritte gelangen, schon gar nicht  in die Öffentlichkeit. Das verhält sich so bei Daten, die sie zum  Beispiel Gemeinden oder jüdischen Vereinen zur Verfügung stellen. Das  gilt auch für Listen der finanziellen Unterstützer jüdischer  Organisationen. Und das gilt ebenso für jüdische Firmen und Geschäfte,  bei denen sie Bestellungen aufgeben.
Nun geht es im vorliegenden  Fall zwar um Daten rechtsorientierter Nutzer und Besteller  rechtsextremistischen Propagandamaterials. Mutmaßlich. Denn wie bei  anderen Datenpaketen waren auch Angaben über Aussteiger oder  Unbeteiligte dabei, deren Namen unbefugt von Neonazis als Pseudonyme  verwandt wurden. Aber durch die unterscheidungslose Veröffentlichung  dieser Datensätze werden alle getroffen, was auch dazu führen kann, dass  wirkliche Täter sich dadurch im schlimmsten Fall noch zu Opfern  stilisieren können und wohl auch werden.
In Deutschland gilt die  Unschuldsvermutung: Dass jemand einen Pullover einer bestimmten in der  Neonazi-Szene angesagten Marke kauft, beweist nicht, dass er  Volksverhetzung betreibt.
»Whistleblowing«  Tatsächliche Volksverhetzung wäre ebenso ein Straftatbestand wie die  unerlaubte Veröffentlichung privater Daten und müsste von der Polizei  verfolgt werden. Solange aber kein Verbrechen vorliegt, kann Anonymous  sich nicht auf das Prinzip »Whistleblowing« berufen, also die Aufdeckung  von Verbrechen durch deren Veröffentlichung.
Der Kampf gegen den  Rechtsextremismus muss geführt werden, aber nur mit den Mitteln des  Rechtsstaats. Dies ist im Sinne der Hacker-Ethik, die ein klares  Bekenntnis gegen Rassismus und Antisemitismus enthält, aber auch die  Devise »private Daten schützen, öffentliche Daten nützen« betont.
Die  anfangs erwähnte Transparenz ist in dieser Debatte ein falscher  Begriff. Es muss Transparenz geben in offiziellen Bereichen wie der  Politik oder der Leitung einer Organisation. Es geht dabei um die  Veröffentlichung von Daten, die alle betreffen. Personenbezogene Daten  fallen nie unter den Transparenzbegriff; sie zu schützen ist Aufgabe des  demokratischen Staates.
Wenn Mitglieder von Anonymous  unkontrolliert Datensätze veröffentlichen können, bedeutet dies, dass  das Internet viel zu frei ist? Brauchen wir schärfere Regelungen, eine  vollständige Überwachung des Netzes?
IP-Adresse  Die Antwort lautet simpel: Nein. Tatsache ist, dass keine Straftat  heutzutage so gut beweisbar ist wie ein Online-Verbrechen. Ob es um  Volksverhetzung, um Drohmails oder eben um die Veröffentlichung privater  Daten geht. 
Bereits heute wird die IP-Adresse mit Uhrzeit auf  den Servern gespeichert und kann von der Polizei abgerufen werden. Es  ist für den Täter dabei durchaus möglich, Verschleierungstechniken zu  nutzen, um einer Verfolgung zu entgehen, genau wie er es auch außerhalb  des Internets versuchen würde.
Wir müssen uns aber darüber im  Klaren sein, dass Kriminelle ähnliche Methoden nutzen werden, um einer  flächendeckenden Überwachung zu entgehen, wie sie beispielsweise bei der  Vorratsdatenspeicherung gefordert wird. Bei dieser wäre jeder Bürger  betroffen, und er wird dadurch wie ein Verbrecher, ja eher noch wie ein  Terrorist beobachtet. 
Dies würde für eine Atmosphäre der  Beklommenheit und Paranoia unter uns allen sorgen. Wir dürfen nicht  vergessen, dass wir Rechtsextremismus unter anderem deswegen bekämpfen,  weil wir eine solche Atmosphäre nie wieder erleben wollen.
Die Autorin ist politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland. 
Quelle: Jüdische Allgemeine